Untersuchungen zur moralischen Entwicklung
Wie beurteilen Kindergartenkinder, ob etwas "gut" oder "schlecht" ist?
Untersuchungen zur moralischen Entwicklung
Um die moralische Entwicklung von Kindern richtig beurteilen zu können, verwendet man häufig Fallgeschichten mit einem moralischen Konflikt. Die Kinder werden dann darum gebeten die Situationen zu beurteilen, indem sie erklären, welche der beiden Situationen sie als “schlimmer” empfinden und ihre Entscheidungen begründen. Die Begründungen geben uns dann Aufschluss darüber, auf welchem moralischen Niveau (Entwicklungsstufe) sich das Kind gerade befindet.
Die wichtigsten Theorien zur moralischen Entwicklung stammen von Jean Piaget, Nancy Eisenberg und Lawrence Kohlberg.
Ich möchte mich an dieser Stelle zunächst auf die ‘einfachste’ der drei Theorien beziehen - “Die drei Stufen der moralischen Entwicklung nach Jean Piaget”.
Piagets Untersuchungen liefen wiefolgt ab: Die Kinder erhielten jeweils zwei kurze Situationsschilderungen (in denen etwas Zubruch ging, ein Missgeschick passierte usw.) und sollten dann angeben, welches der Kinder aus beiden Situationen ihrer Meinung nach “schlimmer” (ungehorsamer, böser, schuldiger) war und warum (?!).
Das bekannteste Beispiel von Piaget ist dieses hier:
1) Ein kleiner Junge namens Hans ist in seinem Zimmer. Man ruft ihn zum Essen. Er geht ins Speisezimmer. Aber hinter der Tür stand ein Stuhl. Auf dem Stuhl war ein Tablett, und auf dem Tablett standen 15 Tassen. Hans konnte nicht wissen, dass all dies hinter der Tür war. Er tritt ein: die Tür stößt an das Tablett und bums!, die 15 Tassen sind zerbrochen …
2) Es war einmal ein kleiner Junge der hieß Heinz. Eines Tages war seine Mutter nicht da, und er wollte heimlich Marmelade aus dem Schrank nehmen. Er stieg auf einen Stuhl und streckte den Arm raus. Aber die Marmelade war zu hoch, und er konnte nicht daran kommen. Als er doch versuchte, daran zu kommen, stieß er an eine Tasse. Die Tasse ist heruntergefallen und zerbrochen.
(Piaget 1983, S.122)
So, nun nimm dir bitte einen Moment Zeit und überlege für dich, wie wohl ein Kind im Kindergartenalter diese beiden Situationen beurteilen würde. Bei welcher der beiden Situationen (die von Hans oder von Heinz) empfindet wohl ein 5-Jähriger die Handlung des Kindes als die “schlimmere”? Und mit welcher Begründung?
Wenn du zu einem Entschluss gekommen bist, dann darfst du gerne weiterlesen, denn ich verrate dir die Lösung. ;)
Die befragten Kinder unter 6 Jahren sagten, dass das Kind, welches die 15 Tassen (aus Versehen) zerbrach, das “bösere” sei.
Wohinegen ältere Kinder der Überzeugung waren, dass das Kind, welches versucht hatte Marmelade heimlich zu naschen, das “ungehorsamere” sei, obwohl es nur eine Tasse zerbrochen hat.
Falls du dich bereits mit der kognitiven Entwicklung nach Jean Piaget befasst hast, so weißt du ja, dass das Denken der Kindergartenkinder noch sehr stark an Anschauungen gebunden ist. Dies betrifft auch ihr moralisches Urteilen. Sie sehen nur den “katastrophalen” Endzustand (15 zerbrochene Tassen) und beurteilen dies als schlimmer als eine dahinterliegende böse Absicht (heimlich Naschen).
Dies sei erstmal als kleiner Einstieg in Piagets Theorie der moralischen Entwicklung gedacht. In der nächsten E-Mail gehe ich dann genauer auf die einzelnen Stufen der Moralentwicklung ein. :)